Als ich vor neun Monaten die Stelle als Bereichsleiter antrat und unter anderem für die abilia Wohngruppen Erlenmatt zuständig wurde, hätte ich nicht genau sagen können, was herausforderndes Verhalten meint. Zugleich beherbergt eine dieser Wohngruppen Menschen, welche ein alltägliches Verhalten zeigen, das vom Umfeld und den Begleitpersonen als herausfordernd wahrgenommen und eingeschätzt wird.
In Gesprächen mit Fachkollegen wurde herausforderndes Verhalten oft mit Selbst- und Fremdaggression in Verbindung gebracht und somit als potentiell gewalttätig stigmatisiert. Damit konnte ich mich nicht anfreunden, ohne bereits einen eigenen Begriff gebildet zu haben. In Besuchen auf der Wohngruppe zum Support oder in Teamsitzungen sowie Angehörigengesprächen kam ich dann allmählich auf die Spur: der Kern von herausforderndem Verhalten bildet nicht die Eskalation, sondern das Festfahren eines Menschen. Dies hatte bereits J. Heijkoop (2007) beschrieben und für eine offene, lebensbejahende Begleitung zu nutzen versucht.
Das Element, darin diese Begleitung gelingen kann, ist eine tragende, nachhaltige Beziehung zwischen der Begleitperson und dem Klienten. Ebenso wichtig sind klar strukturierte, vorhersehbare Abläufe in der Gestaltung des Tages. Wenn diese beiden Faktoren – der Aufbau einer tragenden Arbeitsbeziehung und die Klarheit der angedachten Intervention – zusammen kommen, kann der Begleitprozess, anstatt Richtung gewalttätiger Eskalation, in die Gegenrichtung einer an den Ressourcen des Klienten orientierten, gelingenden Lebensgestaltung verlaufen.
Die Wohngruppen Erlenmatt bieten eine angenehme, normalisierte Wohnatmosphäre in einem Mietshaus und eine vielfältige Teilhabe am Zusammenleben im neu entstehenden Quartier Erlenmatt Ost. Herausforderndes Verhalten eines Menschen kann nicht isoliert betrachtet werden, sondern zeigt sich in Relation zum Umfeld, darin jemand sein Leben zu gestalten versucht. Menschen die blockieren, sich verweigern, vielleicht Dinge zum Fenster hinaus werfen oder Lärm machen, um sich selbst wieder zu spüren, verlangen sehr viel Empathie und Geschick, um in einer städtischen Wohnung mit Nachbarn die Vorzüge dieser Lebensform geniessen zu können: Arbeitsangebote im Quartier (Arealpflege), Strassenfeste, Spaziergänge im Naherholungsgebiet, Einkäufe gerade um die Ecke und eine gute Anbindung an den öffentlichen Verkehr.
Fazit: Das Verhalten eines Menschen wird herausfordernd durch seine Intensität und Beharrlichkeit. Und durch den Anspruch „diese Verhaltensweisen in einem weitestgehend freien und normalisierten Umfeld mit dem Anspruch auf Wohnatmosphäre, Teilhabe und individueller Lebensqualität“ zu begleiten, wie es die menschenrechtlich begründeten Konzepte der Wohngruppen Erlenmatt vorsehen. Dies das Spannungsfeld, darin wir – die Mitarbeitenden von abilia – Klienten auf einem möglichst guten, gelingenden Lebensweg begleiten.
(Thomas Fischer)